201612_Oelpreis_Header

Highlight

Öl: Panik nein, Vorsicht ja!

Nach dem historischen Preissprung hat sich die Lage beim schwarzen Gold wieder beruhigt. Vieles spricht gegen nachhaltig höhere Notierungen. Etwa die hohen Lagerbestände oder das nachlassende Weltwirtschaftswachstum. Gleichwohl: Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass, das den Ölpreis jederzeit wieder explodieren lassen könnte. Eine Risikoprämie scheint daher angemessen.

Der Schock saß tief. Um mehr als 15 Prozent rauschte der Ölpreis in die Höhe, nachdem bekannt wurde, dass Drohnen das Herzstück der saudi-arabischen Erdölindustrie bombardiert und dabei erheblichen Schaden angerichtet haben. Wie groß die Panik nach der Attacke war, zeigt ein Vergleich.  Auf Tagesbasis war der Preissprung noch größer als der nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuweit am 2. August 1990. Damals war der Spuk schnell wieder verflogen. Nach dem raschen Sieg der USA und ihren Alliierten im anschließenden Golfkrieg notierte Öl bereits im Februar 1991 wieder da, wo es auch vor Beginn des Konfliktes stand. Und dieses Mal? Die ersten Kommentare nach dem Drohnen-Angriff hatten vielfach einen skeptischen Unterton. Der Ölpreis könne dauerhaft auf 100 US-Dollar und darüber hinaus steigen, so die Befürchtungen. Tatsächlich ist der Schaden groß. Durch den Angriff auf die saudischen Anlagen entstand quasi über Nacht eine Angebotslücke im Volumen von 5,7 Millionen Barrel Öl pro Tag. Das ist mehr als die Hälfte von dem, was das Wüstenreich täglich seinen Kunden weltweit liefert.

Saudi-Arabien versucht zu beschwichtigen


Mittlerweile scheint sich die Lage spürbar entspannt zu haben. Aktuell notiert das Barrel der Nordseesorte Brent, das nach der Attacke auf über 69 US-Dollar hochgeschossen war, wieder bei etwa 62 US-Dollar und damit nicht unweit in der Nähe des ursprünglichen Niveaus. Ähnlich verhält es sich bei der US-Sorte WTI (West Texas Intermediate). In der Spitze kostete das Barrel hier knapp 63 US-Dollar. Inzwischen ist WTI wieder auf 56 US-Dollar zurückgekommen (Stand: 27. September 2019).  Dass bei Öl wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, hat mehrere Gründe. Starken Eindruck hinterlassen hat zum einen eine Pressekonferenz des saudi-arabischen Energieministers Abdulaziz bin Salman. Demnach sollen bereits Ende September 2019 alle ausgefallenen Kapazitäten wiederhergestellt sein. „Wir sind dabei, die Ölraffinerie wieder voll auszulasten", so bin Salman. Bis dahin würde Saudi-Arabien allen seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden durch Rückgriff auf die eigenen Reserven nachkommen. Bereits bis Ende September soll die Produktionskapazität dann wieder auf das ursprüngliche Niveau von bis zu 11 Millionen Barrel pro Tag hochgefahren sein.

Lager sind bis zum Rand gefüllt


Da die Lager randvoll gefüllt sind und die Märkte daher selbst im Fall von größeren Produktionsausfällen gut versorgt werden können, hatte sich die „Öl- Panik“ schnell wieder gelegt. So betont die Internationale Energie Agentur (IEA) in einer Pressemitteilung vom 18. September 2019, dass allein die IEA-Mitgliedsländer über Ölreserven im Volumen rund 1,6 Milliarden Barrel in staatlich kontrollierten Einrichtungen sowie weitere 2,9 Milliarden Barrel in industriellen Lagern verfügen würden. Theoretisch könnte damit ein Produktionsausfall wie der, der durch die Drohnen-Attacke verursacht wurde, für fast 790 Tage überbrückt werden. Abgesehen davon hat die Bedeutung der Saudis als Öllieferant abgenommen. Mittlerweile ist die USA zum weltweit größten Förderer des schwarzen Goldes aufgestiegen. Innovationen in der Fördertechnik wie horizontales Bohren oder hydraulisches „Fracking" von ölhaltigen Schichten haben zu einem massiven und für die USA beispiellos schnellen Anstieg der Ölgewinnung geführt (von 2008 bis 2018 um 120 Prozent).

OPEC kürzt Prognose bei der Ölnachfrage


Ein weiterer Punkt, der gegen einen nachhaltigen Anstieg des Ölpreises spricht, findet sich auf der Nachfrageseite. Die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft nimmt ab und damit auch der zusätzliche Bedarf nach dem Schmierstoff. Im Jahr 2018 lag die durchschnittliche Gesamtnachfrage bei 98,82 Millionen Barrel pro Tag. Ursprünglich ging die OPEC davon aus, dass die weltweite Nachfrage um jeweils 1,10 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2019 und um weitere 1,14 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2020 steigen wird. Diese Prognose hat das Ölkartell mittlerweile gekappt. Nunmehr wird nur noch mit einer Zunahme um 1,02 Millionen Barrel pro Tag in diesem und um 1,08 Millionen Barrel pro Tag im kommenden Jahr gerechnet. Mittelfristig und unter Ausschluss von weiteren Angebotsschocks dürfte der Ölmarkt also weiterhin eher von einem Überangebot als von einer Unterversorgung geprägt sein.

Öl verliert an Bedeutung


Auch auf längere Sicht macht es nicht den Anschein, dass Öl knapp werden würde. Die Internationale Energie Agentur macht in einem Kommentar vom 19. September 2019 deutlich, dass Öl im globalen Energiemix nicht mehr die dominante Rolle spielt, die es früher einmal hatte. Mit einem Anteil von 31 Prozent ist das schwarze Gold zwar nach wie vor der weltweit größte Energieträger. Im Jahr 1974 lag die Quote aber noch bei 45 Prozent. Dieser Bedeutungsverlust dürfte sich nach Ansicht der IEA fortsetzen: Zum einen, weil Öl effizienter genutzt wird. Zum anderen, weil Verbraucher und politische Entscheidungsträger immer stärker zu saubereren, klimafreundlicheren Alternativen drängen. Vor allem die Elektrifizierung des Automobilsektors bietet enormes Einsparungspotenzial. Immerhin ist gegenwärtig noch rund ein Viertel der weltweiten Ölnachfragen auf den Autoverkehr zurückzuführen. Sollten die Pariser Klimaziele planmäßig umgesetzt werden, würde das den täglichen Ölbedarf nach Berechnung der IEA von derzeit rund 99 Millionen Barrel pro Tag auf etwa 67 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2040 reduzieren.

Risikofaktor: Naher Osten


All das spricht tendenziell gegen eine nachhaltige Rallye- Aber: Der Nahe Osten gleicht weiterhin einem Pulverfass. Washington geht davon aus, dass der Abschuss der Raketen vom Iran aus erfolgte, und nicht aus dem Jemen. Sollten sich die Anschuldigungen der USA erhärten, würde dies das Risiko eines militärischen Vergeltungsschlages erhöhen, auch wenn Trump unlängst betont hat, keinen Krieg führen zu wollen. Sollte der Konflikt dennoch eskalieren oder sich gar zu einem Flächenbrand ausweiten, wären die Zeiten des vergleichsweise, billigen Öls, jedoch auf absehbare Zeit vorbei. Allein die Möglichkeit einer militärischen Auseinandersetzung könnte dazu führen, dass auf Öl zukünftig eine Risikoprämie gezahlt werden muss. Einige Analysten kommen daher zu dem Schluss, dass Öl ungeachtet der fundamentalen Situation um rund zehn US-Dollar pro Barrel höher notieren müsste, als es derzeit der Fall ist.

Kommentare (0)

Kommentar verfassen*

* Ihr Kommentar wird erst nach einer redaktionellen Prüfung veröffentlicht.